Sie sind hier: Museen Erzwungene Wege  
 MUSEEN
Was im Verborgenen blüht
Nostalgie inklusive
Erzwungene Wege
Preisvergabe Oldenburg
Preisvergabe Bonn
Preisvergabe Dresden

ERZWUNGENE WEGE
 

Erzwungene Wege

Ein Rückblick auf die Ausstellung über Flucht und Vertreibung in Berlin



Unter den Linden, gegenüber dem Zeughaus und dem Deutschen Historischen Museum, also an einem zentralem Ort, wurde die Ausstellung der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin gezeigt. Leicht zu finden war sie für den Besucher trotzdem nicht. Von oben bis unten eingerüstet und von Planen verhüllt war die Fassade des Kronprinzenpalais fast während der ganzen Ausstellungszeit. Vor dem Eingang wiesen zwei schmale Transparente am Baugerüst auf die Ausstellung hin. Zuerst aber fiel der Spruch „Berlin – Mailand. Näher als je zuvor“, die großflächige Reklame einer Fluggesellschaft, ins Auge. Kein Wunder, dass der freundliche Bauarbeiter Besuchern wiederholt den Weg weisen musste.

Im Innern präsentierte sich eine kleine und gut überschaubare Ausstellung, die mit dem ersten Stock des Kronprinzenpalais auskam. Sie bestach durch Sachlichkeit und Zurückhaltung: in den Darstellungen und Texten, in den sehr sparsamen Inszenierungen und in der Reduktion der Farben auf Schwarz und Weiß. Der stark vergrößerte europäische Kontinent auf Fußböden und Wänden wirkte eher als abstraktes Muster denn als eine Landkarte. Die weißen Kuben der Hörstationen gliederten die Fläche. Das an den Wänden in Augenhöhe durchlaufende weiße Band bot Informationen: in Texten, meist schwarz-weißen und nur in Ausnahmen farbigen Abbildungen und wenigen Vitrinen mit Exponaten. Das eindrücklichste Exponat dieses Informationsbandes, anrührend aber nicht gefühlsselig dargeboten, war eine kleine, fast unscheinbare Garnitur, aus einem aufgerippelten Zuckersack gestrickt für ein auf der Flucht geborenes Baby. Größere Exponate, Koffer, Truhen, Säcke, Bilder, eine Geige und ein paar Möbelstücke lagen in einfachen, kastenförmigen Vitrinen, die auch wie Kisten aufeinandergestapelt waren.

Über 30 Völker Europas haben im 20. Jahrhundert ihre Heimat verloren, erfuhr der aufmerksame Besucher. Die Idee eines ethnisch homogenen Nationalstaates war eine der wichtigsten Triebkräfte für Deportation und Vertreibung von Bevölkerungsgruppen. Gemeinsame, aber auch unterschiedliche Ursachen und Wirkungen der Zwangsmigrationen wurden in der Ausstellung deutlich. Die Beispiele begannen mit den Folgen des Zerfalls des Osmanischen Reichs, mit der Vertreibung der Türken aus dem Balkan, dem Völkermord an den Armeniern und dem „Bevölkerungsaustausch“ von Griechen und Türken. Die Vertreibungen der Polen aus den von Deutschen annektierten Gebieten, aus der Ukraine und aus der Sowjetunion wurden ebenso behandelt wie die Deportationen der Esten, Letten und Litauer und die Vertreibung der Italiener aus Jugoslawien am Ende des Zweiten Weltkriegs. Aus der jüngsten Geschichte wurden die bitteren Folgen der Teilung Zyperns ebenso dargestellt wie die grausamen Exzesse der ethnischen Säuberungen beim Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens.

In diese traurige Abfolge waren die Flucht der Deutschen vor der Roten Armee und die Vertreibungen aus den ehemals deutschen Gebieten Polens und aus der Tschechoslowakei eingebunden. Und noch etwas ist hervorzuheben: Die Ausstellung stellte klar, dass Flucht und Vertreibung der Deutschen nicht etwa dem verlorenen Krieg geschuldet waren, sondern dass ihre Ursachen in der verbrecherischen Politik der Nationalsozialisten lagen. Denen haben die Vertriebenen den Verlust ihrer Heimat zu verdanken.

Diese Einsicht erleichtert die versöhnliche Haltung der Deutschen gegenüber ihren östlichen Nachbarn. Die Polen haben es da schwerer. Um so wichtiger sind Zeichen der Versöhnung wie das Denkmal im Park der Erinnerung der polnischen Stadt Witnica (früher Vietz), das nicht nur den aus Ostpolen vertriebenen Neusiedlern, sondern ebenso den von hier vertriebenen Deutschen gewidmet ist. Auch die polnischen Leihgaben in der Ausstellung geben Hoffnung. Wenn die Schiffsglocke der „Wilhelm Gustloff“ nach massivem politischen Druck auf die Leihgeber vorzeitig zurückgefordert wurde, kann man dem mit Verständnis und Gelassenheit begegnen. Die deutschen Vertriebenenverbände waren ja nicht immer schuldlos daran, dass sich Ressentiments auf beiden Seiten so lange halten konnten. Einigen deutschen Politikern macht es die Ausstellung schwer, gewohnte Vorurteile weiter zu pflegen und den Vertriebenen die Erinnerung zu verwehren oder ihnen die Art des Erinnerns vorzuschreiben.

Den 60 000 Besuchern war die Ausstellung sachliche Information und Aufklärung. Den Betroffenen war sie Erinnerung. Das erstaunlich junge Publikum gehörte zu den Überraschungen der Ausstellung. Es war eine Freude, den zahlreichen jungen Leuten zuzuschauen, die mit Ernst und Hingabe der Geschichte nachspürten, viele auch dem Schicksal der eigenen Großeltern.



Bildunterschriften:

Ein Bauarbeiter weist einer Besucherin den Weg in die AusstellungBlick in den ersten Ausstellungsraum mit Informationsband und HörstationenKästen als Vitrinen mit den geretteten HabseligkeitenMit Hingabe spürte das junge Publikum der Geschichte nach