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 KUNST
Zustand der Ruhe
Die große Wand
Unter Grund
Eine Bronzebüste entsteht
Metamorphosen
Aber die Kunst bleibt
Die Forderung des Raumes
Uelzener Fensterstreit

UNTER GRUND
 

Rede zur Vernissage des Kunstprojekts „Unter Grund“ von Wil Frenken
am 3. Juli 2005 im Arboretum Melzingen

Auf einer nächtlichen Bahnfahrt wurde die Idee zum konkreten Plan. Wil Frenken trug sich schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, eine Bildserie für das Arboretum zu schaffen. Nicht Pflanzen, Blüten oder Blätter sollten die Motive sein, was bei einem Garten ja nahe läge, sondern das, was im Boden kreucht, über das man gewöhnlich hinweggeht. Noch ausgefallener als die Wahl des Gegenstandes war die der Ausführung. Frenken hatte seine Einmaldrucke wiederholt auf Folien oder Glas aufgetragen, aber in Bodenleuchten, ganz passend zum Thema, waren sie noch nie montiert worden. Die Leuchten sollten in Rasenflächen eingelassen werden, die Tierdarstellungen tagsüber bei natürlichem Licht wie Bilder hinter Glas betrachtet werden können. Bei trübem Wetter, Dämmerlicht oder Dunkelheit sollten sie von unten beleuchtet werden und sich farbenfroh verwandeln. Auch der treffende Titel wurde gleich gefunden: „Unter Grund“. Diese Idee sei so gut und ungewöhnlich, gab ich dem Künstler noch während der Bahnfahrt zu verstehen, dass ich sicher wäre, für die Realisierung Geld zu bekommen. So war es zu meiner großen Erleichterung dann auch. Die Stiftung der Norddeutschen Volks- und Raiffeisenbanken ließ sich gemeinsam mit der Volksbank Uelzen-Salzwedel eG von der Qualität des Projektes überzeugen und sagte eine großzügige Förderung zu. Auch die gemeinsame Landesplanung Hamburg-Niedersachsen konnte für das Projekt gewonnen werden und trug zur Finanzierung bei. Beiden Förderern gilt ein herzlicher Dank.

Nach den finanziellen waren technische Probleme zu lösen. Zum Beispiel durften die wasserdichten und somit nicht belüfteten Bodenleuchten nur sehr wenig Wärme entwickeln, um den Folien und Farben nicht zu schaden. Diese Fragen wurden mit Hilfe des Ebstorfer Elektromeisters Manfred Manicke fachmännisch gelöst. Der Realisierung stand nichts mehr im Wege.

Wil Frenken hatte ein Thema gewählt, das unmittelbar mit dem Garten zu tun hat. Er lenkt den Blick auf Lebewesen im Boden, über die wir gewöhnlich hinweggehen, ohne sie wahrzunehmen: Maulwürfe, Würmer, Engerlinge, Mauswiesel, Käfer, Erdhummeln. Das Thema wird nicht wissenschaftlich oder gartenpädagogisch behandelt, sondern künstlerisch umgesetzt. Die Tiere werden nicht naturgetreu dargestellt. Die Bilder sind nicht Spiegelung oder gar Doppelung der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit wird vielmehr aufgebrochen, um andere Ebenen freizulegen und andere Sichtweisen auf die Gegenstände zu ermöglichen. Es sind Ebenen, die sich dem traditionellen Sehen und auch der Fotografie entziehen. In der Handschrift Frenkens entsteht in abstrahierter Form und starken Farben: Kunst.

Die neue Serie, wie sollte es anders sein, steht in Kontinuität zu seinen bisherigen Arbeiten. Sie ist in einer in Jahrzehnten individuell entwickelten und angewandten Technik ausgeführt, der Monotypie, dem Einmaldruck. Dabei werden die Motive in Acrylfarben kräftig auf Schablonen aus Linoleum oder andere schneidbare Stoffen aufgetragen, um sie anschließend auf Büttenpapier, Leinwand oder transparente Materialien wie Glas und Folien zu drucken. Befragt, warum er für seine Arbeiten diese Methode gewählt habe, sagt Frenken, dass für ihn – im Gegensatz zur mechanischen Arbeit mit der der Druckerpresse – das individuelle Aufdrücken mit der Hand die unmittelbarste Art der Wahrnehmung sei, etwas mit Handanlegen zu tun habe. Das entstehende Produkt zeichne sich durch absolute Individualität aus. Selbst der wiederholte Abdruck mit derselben Schablone führe immer zu Abwandlungen, bedingt durch individuelles Aufdrücken und unterschiedliche Farben. Es entstünde Vielfalt in Einem. Kurzum: Der Einmaldruck breche die Darstellung zusätzlich, stelle mehrere Sichten einer Sache dar und werde damit der komplexen Wirklichkeit eher gerecht. Der urtümliche Abdruck der menschlichen Hand ist für Frenken der Vorläufer der Monotypie, die auch etwas mit Handauflegen und in Besitz nehmen zu tun habe. Hierin einen rituellen und religiösen Aspekt bis hin zu Kirche und Taufe zu vermuten, ist sicher nicht falsch, denn auch an andere Teile von Frenkens Werk ist zu erkennen, wie tief er in der Kultur seiner niederrheinischen Heimat mit ihrem Katholizismus verwurzelt ist.

Auch die Verwendung von durchsichtigen Folien ist nicht neu. Schon Anfang der 60er Jahre fertigte Frenken Holzdrucke auf transparentem Zeichenpapier, wie es Architekten verwenden. Warum? Weil er zwei Seiten einer Sache sichtbar machen wollte und damit mehr Komplexität schuf. Ebenso begann er schon früh, die transparenten Arbeiten gegen das Licht aufzuhängen, von hinten zu beleuchten und auch damit dem Betrachter eine zusätzliche Sicht auf den Gegenstand zu verschaffen. In Melzingen ist seine Absicht, wie Frenken sagt, die Erde ein Stück zu öffnen, nicht, um den Maulwurf, sondern um Kunst zu zeigen.

Dass Frenken sich nicht dem Einzelbild zuwendet, sondern in Serien arbeitet, ist ebenso wenig Zufall. Die Serien sind Ausdruck einer intensiven und langen Beschäftigung mit einem Thema. Der Künstler ist gleichzeitig Philosoph. Das Ergebnis dieser philosophischen wie ästhetischen Auseinandersetzung findet dann nicht in einzelnen Werken, sondern in Serien seinen angemessenen Ausdruck. Zudem geben die vielen Varianten einer Serie Frenken wieder die Möglichkeit, einem seiner Hauptanliegen näher zu kommen, die Vielschichtigkeit der Realität darzustellen.

Das Kunstprojekt im Arboretum ist in direkter Fortsetzung vorausgegangener Serien zu sehen, insbesondere der Bestiarien der Ebstorfer Weltkarte, einer Folge von Tierdarstelllungen aus diesem Kartenwerk. Auch die Beschäftigung mit Tieren hat also bei Frenken Tradition, weil, wie er sagt und damit seine geistige Herkunft verrät, die Tiere im Mittelalter schlecht wegkommen und ihnen erst seit der Kunst der Renaissance Gerechtigkeit wiederfährt.

Bei der Arbeit zur Tierserie des Arboretums entstand bald der Eindruck, dass der Künstler eine intensive Beziehung, ja eine besondere Freundschaft zum Maulwurf entwickelt hatte. Frenken bestätigte das und erzählte, wie ihm zu Beginn der Serie Professor Füchslein zu Hilfe gekommen sei. Das war Frenkens roter Kater, der einen Maulwurf gefangen und als Zeichen der Verbunden- heit vor die Tür gelegt hatte. Frenken tat etwas, das für uns ganz ungewöhnlich ist, für Frenken aber ganz selbstverständlich war. Er hatte es zuvor schon mit Insekten und auf der Straße platt gefahrenen Fröschen gemacht. Er legte den Maulwurf in seinen Kopierer und kopierte ihn. Das war der Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit. In Wahrheit geht das Verhältnis zu diesem Tier viel tiefer. Für Frenken ist, wie er sagt, der Maulwurf ein Stück Identifikation. Das erstaunt zunächst. Der Bildende Künstler identifiziert sich mit einem blinden Tier? Der Maulwurf lenkt den Blick nach innen. Er lebt in einer anderen, eigenen Welt. Er nimmt sich die Freiheit, dort einen Haufen aufzuwerfen, wo es ihm gefällt, in Unabhängigkeit zur Ordnung die der Gärtners vorgibt. Deswegen wird der Maulwurf gelegentlich auch verfolgt. Das hat etwas Subversives. Der Maulwurf ist ein Künstler! Frenken wollte ihn ursprünglich sogar aktiv an seiner Arbeit mitwirken lassen, die Kunstleuchten sollten dort installiert werden, wo es der Maulwurf mit seinen Haufen
– sozusagen als Zufallsgenerator – vorgegeben hatte. Das ließ sich leider nicht verwirklichen.

Bleibt zum Schluss noch die Frage zu beantworten, warum der Maulwurf leuchtend rot oder auch blau dargestellt ist. Frenkens Kunst, das ist klar, dient nicht etwa dokumentarischen oder gartenpädagogischen Zwecken. Die Farbe führt in eine andere Dimension, sie bildet einen Kontrapunkt. Sie verändert, verfremdet, ist Ausdruck von Vitalität. Und die Farbe wertet auf, sie ist Bedeutungsträger ganz wie in der mittelalterlichen Buchmalerei, auf die Frenkens Farbigkeit zurückgeht. Hier leuchtet nochmals der katholische Hintergrund auf, eine spirituelle Ebene, die den Künstler von Kindheit an ein Leben lang inspiriert hat.

Der Kontext des Gesamtwerks und der biografische Hintergrund erleichtern es, Frenkens Arbeiten zu verstehen. Der Betrachter kann sie aber genau so gut in Muße auf sich wirken lassen und einfach seine Freude haben an Formen und Farben.