Sie sind hier: Kunst Metamorphosen  
 KUNST
Zustand der Ruhe
Die große Wand
Unter Grund
Eine Bronzebüste entsteht
Metamorphosen
Aber die Kunst bleibt
Die Forderung des Raumes
Uelzener Fensterstreit

METAMORPHOSEN
 

Metamorphosen oder wie kommt die Kunst aufs Feld
Rede zur Eröffnung der Ausstellung in der Gartenschule Pur Natur am 9. Juli 2005.

Kunst und Garten gehören zusammen, seit die Gärten nicht mehr ausschließlich Nahrungsmittel, Küchenkräuter oder Heilpflanzen lieferten, seit sie der Freude und Entspannung dienen. Seitdem spiegeln sie den Geist ihrer Zeit ebenso wie die gesellschaftliche Stellung ihrer Eigentümer – zum Beispiel die absolute Herrschaft im Barock – oder sie repräsentieren einfach den Geschmack derjenigen, die den Garten anlegten und in ihm lebten oder leben.

Kunst im Garten, das ist auch gediegenes Kunsthandwerk, und es sind die Produkte aus den Manufakturen wie die Terrakotta aus Italien.

Kunst im Garten, das sind heute aber ebenso die Gartenzwerge aus Kunststoff, die Massen der bronzenen Kraniche, der in Beton oder Kunststein nachgegossenen niedlichen Figuren aus dem Baumarkt, Kunst aus zweiter Hand, die unversehens zum Kitsch gerät. Auch sie ist zeittypisch und verrät, wes Geistes Kind derjenige ist, der sie in seinem Garten aufstellt. Das ist eine Feststellung und keine Wertung.

Und dann gibt es noch höchst merkwürdige Dinge: Mitten im Beet Pflanzen, die nicht der Textilherstellung dienen, sondern die selber aus Textilien hergestellt wurden, da sind farbige Stelen, Pfahlkreise, Bäume mit irritierenden Veränderungen oder gar überdimensionale Spiegeleier. Da ist Kunst, die aus ihrem schützenden Domizil der Museen und Galerien ausgebrochen ist in die öffentlichen Räume der Städte, in Gärten und Felder.

„Kunst ohne Dach“ hat Ludwig Zerull vor Jahren diese Kunst anschaulich genannt. Die Kunst im öffentlichen Raum hatte er vor allem im Auge, die jedermann zu jeder Zeit zugänglich ist, der ich unversehens, ohne Vorwarnung begegne, auch dann, wenn ich ihr gar nicht begegnen will. In der Galerie erwarte ich sie, im Freien bin ich nicht auf sie gefasst. Das kann ihre Wirkung steigern, Erstaunen, aber auch Unwillen, sogar Aggressionen auslösen. Schmierereien und Beschädigungen sind dann die Folge.

Bei der Kunst im Garten – und die Gartenschule zähle ich dazu – liegt das etwas anders. Der Garten ist ein umfriedeter Ort und sozusagen und zwischen Galerie und öffentlichem Raum gelegen. Noch einen Unterschied halte ich für wesentlich. In den städtischen öffentlichen Räumen tritt die Kunst mit dem Anspruch des Dauerhaften auf. Wenn der Straßenkunst dann kein Konzept und Qualitätsmaßstab zugrunde liegen, das ist häufig und auch in unserer Nähe der Fall, dann kommt es zu dem, was Eckhard Schneider, der Direktor des Kunsthauses Bregenz, „Stadtmöblierung“ genannt hat, die man lieber wieder wegräumen sollte. In dieselbe Kerbe schlug Michael Mönning, wenn er in der Frankfurter Allgemeinen schrieb, die liebste Kunst im öffentlichen Raum sei ihm der Schneemann, weil der das Ende des Winters nicht überlebe.

Wie angenehm bescheiden tritt hier die Kunst doch auf, nicht mit dem Anspruch auf Ewigkeit, sondern im Zeichen des Temporären und Vergänglichen, ganz wie es der Natur und dem Garten entspricht. Kunst in der Landschaft ist heute, in vielen Fällen jedenfalls, wie der Schneemann Kunst auf Zeit. Gerade deswegen würde man sich wünschen, das eine oder andere der wunderbaren Werke im Garten erhalten zu sehen.

Am Rande eines Wäldchens im hannoverschen Georgengarten ist das gelungen. Von einer Kunstausstellung „ohne Dach“ aus dem Jahr 1989 ist eine Arbeit von Ludger Gerdes übrig geblieben. Die Neonintallation schreibt in großen gelben Buchstaben das Wort „ICHS“, also die Mehrzahl von ich. Das könnte auch das Motto dieser Ausstellung sein, denn die einzelnen Arbeiten sind so individuell und eigenständig, dass sie weniger als Teil einer Gruppe, sondern jede für sich als ein ICH zu begreifen sind.

Viele Arbeiten sind für den konkreten Ort und Anlass geschaffen worden. Etliche waren an anderen Orten schon zu sehen und nur bei wenigen ist der Bezug zum Garten nicht zu erkennen. Die Arbeiten verändern den Garten. Die Besucher werden sich an ihnen freuen, verwundert und irritiert sein oder auch ihre konventionellen Sehweisen nicht ablegen können und der Kunst mit Unverständnis begegnen.

Man stutzt, wundert sich oder freut sich an den Verwandlungen und Verfremdungen. Eugen Andrée kommt mit seiner Arbeit der Überschrift der Ausstellung am nächsten. So heißt denn auch der Titel seiner sehenswerten mehrteiligen Arbeit „Metamorphosen an Bäumen – eine Installation im Spannungsfeld zwischen Wachstum und Zerfall“.

Faszinierend ist es, die Schwingungen des Wassers in der metallenen „Klangschale“ von Erich Bäuerle zu sehen, sie zu hören und sie zu spüren, wenn man die Hand ins Wasser taucht. Der „Rotierender Diskus“ macht sich die Strömungen der Luft zunutze.

Etwas sperrig liegt die goldene „Rettungsdecke als Überlebensmittel für den Menschen wie der grüne Bewuchs für die Erde“ von Marlis Bredin auf dem Acker. Genau so sperrig verweigert sie sich dem schnellen Zugang des flanierenden Betrachters. Genaueres Hinsehen lohnt sich.

Schelmisch enttäuscht die weibliche Figur von Johann-Reimer Schulz den neugierigen Betrachter. Die in einem Baum hängende, nur mit Strümpfen bekleidete Dame lockt mit ihrem schönen Rücken – und sieht von vorn genau so wie von hinten aus. Die überdimensionalen „Wendländischen Spiegeleier“ wirken nicht nur lustig, sie sind auch hintersinnig. Wenn das Ei ein Symbol für Fruchtbarkeit und Leben ist, sagt der Künstler, dann ist das Spiegelei eine Sackgasse (zumindest eine Umleitung).

Das Labyrinth von Silke-Christiane Narr ist wohl am stärksten Teil des Gartens geworden. Aus Pflanzen bestehend, aus Feuerbohnen und Erbsen, wandelt es mit dem Wachstum ständig sein Aussehen. Seine Form kommt im Gegensatz zur Spirale in der Natur nicht vor.

Georg Lipinski schuf mit seiner Pfahlinstallation „Anmerkungen zum Sommernachtstraum“ einen farbigen Hingucker an einem zentralen Ort der Gartenschule.

Die aus Textilien geformten „Gewächse“ von Uschi Schwierske vertragen sich wie die an anderer Stelle folgenden „Gartennadeln“ gut mit den Pflanzen, mit denen sie sich das Beet teilen. Geheimnisvoll wirken die großen blauen Spinnennetze am Gebüsch, die CDs des „Heckengeflüster“ schon eher befremdlich. Wenn dann leise Musik abgespielt wird, versteht man den Titel als Wink mit dem Zaunpfahl – oder mit dem Holzhammer?

Der Pfahlkreis um den Mittelpfosten zieht schon aus einiger Entfernung die Blicke auf sich. Es sind die „Strahlen der Hoffnung, Signale der Erde“ von Andreas Kuppke. Mit der Wünschelrute war der Platz festgelegt worden. Nicht zufällig erinnert er an Pfostenkreise aus der Urgeschichte.

Metamorphosen, Verwandlungen, heißt die Ausstellung. Verwandelt hat sich die Gartenschule Pur Natur in der Tat. Ansehnlich war sie schon immer. Pur Natur war sie noch nie. Die Kultur, zunächst die Agrikultur, haben schon immer eine große Rolle gespielt. Es ist ein echter Familienbetrieb. Die Grundlagen hatten Karl und Ella Hinrichs geschaffen. Vieles von dem, was wir hier heute bewundern, ist Axel und Gertrud Beeker zu verdanken. Tatkräftig und mit neuen Ideen führt jetzt die nächste Generation, Ole Beeker und Silke-Christiane Narr, den Betrieb fort. Kultur hat es hier schon immer gegeben, nicht nur prächtige Pflanzen, auch Versteinerungen, Keramik und anderes Kunsthandwerk. Einzelne Künstler waren zu Gast. Die aktuelle Ausstellung ist Fortführung, aber sie ist vor allem Neues. Es ist ein großer Schritt nach vorn, zu dem man der Familie Beeker gratulieren kann.

2005