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Die Gärten der Bäume und das Arboretum Melzingen



Die Vielfalt der Arboreten
Als Christa von Winning sich entschloss, aus ihrem privaten Garten einen öffentlichen Garten zu machen, stellte sich die Frage, wie der heißen sollte. Sie selber hatte die Bezeichnung Arboretum gewählt. Den allermeisten Gartenbesuchern war der Begriff unbekannt. Im Lexikon heißt es unter diesem Stichwort: „Arboretum (zu lat. Arbor ‚Baum’), Baumgarten; Sammelpflanzung verschiedener Hölzer zu Studienzwecken“. Aber wer weiß das schon? Baumgarten klingt wie Baumkuchen und Gehölzsammlung tönt reichlich hölzern. Wir beschlossen, bei Arboretum, diesem klangvollen Wort mit seinen vielen Vokalen zu bleiben und den Ort des Gartens, der ähnlich unbekannt ist, hinzuzufügen: Arboretum Melzingen. Wir gaben uns nicht der Täuschung hin, dass viele Menschen damit etwas anzufangen wüssten, aber wir hatten die Hoffnung, dass die wohlklingende Bezeichnung Neugier wecken würde. Und erklärend fügten wir hinzu: Ein Garten der Bäume.

Genau besehen verbirgt sich hinter dem Wort Arboretum viel mehr als eine Gehölzsammlung zu wissenschaftlichen Zwecken. Loki Schmidt schreibt darüber so anschaulich und verständlich, dass sie hier zitiert werden soll: „...diese Baumsammlungen sind sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Einige Gärten haben die Bäume nach ihrer verwandtschaftlichen Zusammengehörigkeit gepflanzt... Andere Gärten haben unterschiedliche Waldtypen aufgebaut, die in Mitteleuropa heimisch sind. Oder das Arboretum ist pflanzengeographisch gepflanzt, so dass man, in europäischen Wäldern beginnend, durch Wälder Chinas, Japans und Nordamerikas wandern kann und vielen vertrauten Bäumen aus unseren Parks und Grünanlagen begegnet, die schon lange bei uns eingeführt sind. Interessant sind auch die in manchen jüngeren Gärten gepflanzten „Tertiärwälder“ mit Gehölzen aus Nordamerika und China, die nahe Verwandte unserer mitteleuropäischen Tertiärflora sind, die ja bei uns nach den Eiszeiten wegen der Ost-Westrichtung der Alpen und des Balkans nicht wieder haben nach Norden einwandern können. In solchem Gartenteil kann man ahnen, wie es möglicherweise im Tertiär, bis etwa vor zwei Millionen Jahren, auch bei uns ausgesehen hat. Nachkommen aus erdgeschichtlich noch viel älteren Zeiten, wie Sommermammutbaum, Sequoia oder Ginkgo, findet man in fast allen Botanischen Gärten der gemäßigten Zonen, wobei die reizvollen Fächerblätter des Ginkgo uns heutige Menschen noch genauso beeindrucken wie einstmals Goethe, der ein tiefsinniges Gedicht über diesen Wunderbaum schrieb.“

Das Arboretum gibt es nicht. Die einzelnen Arboreten unterscheiden sich sehr stark in ihrer Anlage und ihrem Aussehen. In den Sammlergärten sind seltene Bäume zusammengetragen wie Raritäten in den Wunderkammern als Vorformen der Museen, mit einem wesentlichen Unterschied: Die Exponate der Museen lassen sich leicht nach neuen Prinzipien ordnen und zusammenstellen, die Bäume, wenn sie erst einmal größer geworden sind, können nicht so leicht verpflanzt werden.

Dort, wo nach Konzeptionen gesammelt, gegliedert worden ist und Schwerpunkte gebildet wurden, kann das zu vielen sinnvolle Resultaten führen. Die Gehölze können geografisch und nach Klimazonen angeordnet sein. Sie können nach Verwandtschaften, der botanischen Systematik zusammengestellt werden. Oder sie können aus einzelnen Vegetationsgesellschaften, aus Biotopen bestehen, um nur die wichtigsten Gliederungsmöglichkeiten zu nennen. Hinzu kommen weitere individuelle Ausprägungen. Das Arboretum der Bundesanstalt für Forst- und Holzwirtschaft in Hamburg begreift sich ganz als wissenschaftliche Einrichtung, bei der die Besucher nur am Tag der Offenen Tür eine größere Rolle spielen. Entsprechend trocken stellt es sich dem interessierten Laien dar. Außerordentlich attraktiv für die Öffentlichkeit ist das Arboretum Ellerhoop im Kreis Pinneberg vor den Toren Hamburgs. Nicht nur nach wissenschaftlichen, sondern ebenso nach ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet und mit Blumenbeeten garniert, zieht es 130.000 Besucher im Jahr an und unterstreicht so den Geldgebern gegenüber seine Existenzberechtigung. Arboreten sind vielfach Bestandteile von Botanischen Gärten wie in Berlin, Hamburg oder Heidelberg. Sie können für die Besucher außerordentlich attraktiv sein, sind gelegentlich immer noch introvertiert und nur der Wissenschaft zugewandt. Die Pflanzen sind dann ausschließlich mit ihren lateinischen Namen bezeichnet. Arboreten können uns als Park gegenübertreten oder einem Park angegliedert sein. Oft sind es Schlossparks wie in Schwetzingen oder Hannover-Herrenhausen, die sich den Besuchern geöffnet haben. Sie können aber auch von Beginn an als Volksparks angelegt sein wie der Hamburger Stadtpark in Winterhude oder der Dortmunder Westfalenpark. Ein sehr ungewöhnliches Arboretum entstand auf dem hannoverschen Messegelände zur Expo 2000. Dort fügen sich 455 Bäume der nördlichen Halbkugel in vier parallelen Reihen zur „Allee der vereinigten Bäume“.

Ganz anders sehen die forstbotanischen Arboreten wie Tharandt bei Dresden, Burgholz am Stadtrand von Wuppertal oder Bad Grund im Harz aus. Hier begegnen uns große Waldflächen, in die Gehölze aus aller Welt, meist geografisch geordnet, eingebracht wurden. In Bad Grund wurde das Arboretum nach einem verheerenden Windwurf auf einer Fläche von 120 Hektar angelegt. Das Arboretum Burgholz ist mit 170 ha noch größer. Neben allgemeinen wissenschaftlichen Fragen stehen hier spezielle Untersuchungen der Baumarten auf ihre forstliche Tauglichkeit im Vordergrund. Auch diese Arboreten gewinnen zunehmende Bedeutung als Erholungsgebiete und für den Tourismus.

Das Arboretum Melzingen
Vor diesem Hintergrund ist das Arboretum Melzingen zu sehen, in dieses bunte Mosaik ist es als kleiner, individueller Stein einzufügen. Es hat seine ganz eigene Geschichte, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Als Christa von Winning als Flüchtling au einem Pferdewagen mit vier kleinen Töchtern im Westen ankam, pachtete sie tatkräftig ein Stück Land, baute Gemüse und Blumen an, verkaufte ihre Produkte auf dem Wochenmarkt und sicherte so den Lebensunterhalt für ihre Familie. Schon bald erwarb sie in Melzingen eigenes Land. Es entstand als erstes Kapitel in der Geschichte des Gartens der Nutzgarten.

Es kommt ein sehr persönliches Kapitel der Gartengeschichte hinzu. Schon auf der Flucht hatte sie aus dem elterlichen Park einen Kirschapfel mitgebracht. Die Nachkömmlinge aus seinen Kernen stehen heute in Melzingen gemeinsam mit vielen anderen Pflanzen gleichen Ursprungs von der kleinen Walderdbeere bis zur großen Säuleneiche. Deren Samen hatte Christa von Winning, als die Grenze noch durchlässig war, nachgeholt. Es entstand der Erinnerungsgarten.

Als Christa von Winning später ihre vielen Gartenreisen unternahm, brachte sie auch von dort Samen und Sämlinge mit nach Hause. Daraus erwuchs der Sammlergarten mit ca. 800 verschiedenen Bäumen und Sträuchern aus aller Welt. Aus dem Nutzgarten, dem Erinnerungsgarten und dem Sammlergarten war ein Arboretum geworden, geprägt von Vielfalt und Fülle.

Das jüngste Kapitel der Gartengeschichte schlug Christa von Winning auf, als sie den Garten in ihre gemeinnützige Stiftung einbrachte, um ihn auf Dauer zu erhalten und den Besuchern zu öffnen. Der private Garten konnte nach persönlichen Vorlieben, aus Lust und Laune entstehen. Für den öffentlichen Garten brauchte es ein Konzept. Die Geschichte des Gartens selbst mit den Kapiteln Nutzgarten, Erinnerungsgarten und Sammlergarten wurde zum Leitthema des Arboretums Melzingen gemacht. Die verbliebenen alten Strukturen wurden erhalten und dort, wo sie überpflanzt worden waren, wieder freigelegt. Der Garten mit seiner individuellen Geschichte sollte für die Besucher lesbar werden. Dort, wo Umpflanzungen oder Neupflanzungen nötig waren, wurden verwandte Pflanzen zusammen gestellt, um Übersicht und Vergleichbarkeit zu erleichtern. Ein Netz von Wegen wurde angelegt, ein Informationssystem für die Besucher eingerichtet. Dabei ist auf Ästhetik und auf behutsames Einfügen in den Garten Wert gelegt worden, um keinen Schilderwald entstehen zu lassen. Didaktik und Gartenpädagogik hielten Einzug.

Besucherfreundliche Gärten
In der Gartenpädagogik haben etliche Botanische Gärten mit Grünen Schulen und ähnlichen Einrichtungen Vorbildliches geschaffen. Bei der Didaktik und der Ästhetik der Informationsmittel sind die Gärten allerdings weit hinter der Entwicklung in den Museen zurückgeblieben. Noch immer überwiegen unruhige und unterschiedliche Beschriftungen, meist auf leuchtend weißem Grund, so dass sich der Schilderwald in den Vordergrund drängt und oft den Anblick der Pflanzen stört. Die Rolle der Gartenpädagogen ist häufig, wie früher auch in den Museen, auf die Wissensvermittlung, manchmal nur auf Führungen oder auf die Betreuung von Schulkindern beschränkt. Zur Entwicklung didaktischer Gartenkonzepte werden sie zu selten hinzugezogen. Gestalter oder gar Künstler sucht man für diese Aufgaben oft vergebens. Steht die wissenschaftliche Funktion des Gartens im Vordergrund, erledigen die Wissenschaftler gelegentlich pädagogische, didaktische und gestalterische Aufgaben gleich mit. Das sieht man den Gärten dann auch an.

Kulturelle Veranstaltungen gehören in vielen Gärten und Parks zum festen Programm. Kunst und Kultur sind eingezogen. Konzerte, Theateraufführungen und literarische Lesungen zählen ebenso dazu wie Malkurse oder Meditationsübungen. Die Gärten sind, was sie historisch schon einmal waren, zu kulturellen Zentren geworden. Auch das Arboretum Melzingen beschreitet mit seinen bescheidenen Mitteln diesen Weg: Kulturelle Veranstaltungen vom Picknickkonzert bis zur Kunstausstellung locken die Besucher in den Garten. Das Gartencafé und der Gartenladen mit qualitätvollen regionalen Produkten sind ein zusätzlicher Service. Der Erfolg beim Publikum ist ein Schritt zu größerer wirtschaftlicher Selbständigkeit.

Lust und Last des Ehrenamts
Da die Christa von Winning Stiftung zwar Eigentümerin der Immobilie ist, nicht aber über Stiftungskapital verfügt, ist zur Erhaltung des Gartens großes ehrenamtliches Engagement notwendig. Etwa 30 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer pflegen den Garten, übernehmen Aufsichts- und Kassendienst, Gartenführungen und organisatorische Aufgaben. Langzeitarbeitslose wie auch Strafgefangene arbeiten, von ehrenamtlichen Helfern betreut, regelmäßig im Garten. Es ist ein wichtiges Programm, das nicht nur der Gartenpflege, sondern ebenso der Eingliederung in reguläre Arbeitverhältnisse dient. Erfolgreich können diese Wege nur in enger Kooperation mit anderen Einrichtungen begangen werden, mit der Justizvollzugsanstalt Uelzen, dem Caritasverband Uelzen/Lüchow-Dannenberg, der Evangelischen Familienbildungsstätte Uelzen und der Gervasius-Realschule Ebstorf.

Zur Nachahmung ist dieses Modell nicht zu empfehlen. Ein Minimum an Stiftungskapital wäre erforderlich, um aus seinen Erträgen zumindest einen Teil der Gartenpflege zu finanzieren. Die ehrenamtliche Arbeit, die jetzt arg strapaziert wird, könnte dann zusätzlich ihren Beitrag zur Erhaltung des Gartens leisten. Als ein vorbildliches Beispiel taugt da eher das Arboretum Härle in Bonn-Oberkassel. Den Erhalt und die Entwicklung des schon 1870 angelegten Parks mit seinen seltenen Gehölzen sichert das Kapital der von der Familie Härle 1998 errichteten Stiftung. Für das Arboretum Melzingen ist zu hoffen, dass ehrenamtliches Engagement und steigende eigene Einnahmen aus dem Besuch des Gartens zusammen ausreichen werden, das Lebenswerk Christa von Winnings zu erhalten.

Dem Text liegt ein Vortrag zugrunde, der in einer Begleitveranstaltung zur Landesgartenschau in Winsen (Luhe) gehalten wurde.

Das Arboretum Melzingen ist von Anfang Mai bis Ende Oktober täglich außer montags von 14:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Gartenführungen nach Anmeldung bei Kultournetnord,
Tel. 0 41 36/91 17 62, Fax 0 41 36/91 08 09, E-Mail info@kultournetnord.de, Informationen unter www.arboretum-melzingen.de

Heinz Schirnig 2007