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DREI KRIEGER
 

Ausgrabung in Groß Hesebeck, Lkr. Uelzen 




 

Drei Krieger
Erinnerungen an eine Ausgrabung in Groß Hesebeck

Als Friedrich Bautsch anregte, über die Ausgrabungen in seinem Heimatdorf Groß Hesebeck im Heidewanderer zu schreiben, zögerte ich. Ich musste eine ganze Weile nachdenken, wie lange das zurücklag. 1974 und 75 war es, vor weit mehr als dreißig Jahren. Langsam stiegen die Erinnerungen auf. Friedrich Bautsch war jener Tag viel klarer in Erinnerung geblieben als mir, als meine Mitarbeiter und ich mit Kelle und Pinsel vorsichtig drei Steinäxte freigelegt hatten. Nachdem sie in situ fotografiert, eingemessen und gezeichnet worden waren, hatte ich mich an ihn gewandt: „So, Herr Bautsch, jetzt können Sie eine der Streitäxte herausnehmen. Sie sind nach über 4000 Jahren der erste Mensch, der sie wieder in den Händen hält“. Für ihn, dem die Geschichte seiner Heimat immer am Herzen gelegen hatte, war das ein großer Augenblick gewesen. Schon aus diesem Grund konnte und wollte ich mich dem Wunsch nicht entziehen, über die Ausgrabung zu berichten.

Ein wissenschaftlicher Aufsatz soll es aber nicht werden. Zu lange habe ich die aktuelle Forschung hinter mit gelassen und beruflich andere Wege beschritten. Die Funde aus Groß Hesebeck verdienen es, dass man sich wissenschaftlich gründlich mit ihnen auseinandersetzt. Deshalb ist durch Vermittlung von Dr. Horst Löbert das Fundmaterial dem Doktoranden Jan Piet Brozio anvertraut worden, der es auswertet und an der Universität Kiel damit promoviert wird. Hier will ich mich darauf beschränken, Erinnerungen wachzurufen an eine spannende Entdeckung. Eine große Sandgrube fraß sich damals in das kleine Kiefernwäldchen am Ortsrand von Groß Hesebeck und drohte, zwei flache, unscheinbare Grabhügel zu verschlingen. Sie sollten ausgegraben werden, bevor der Bagger sie zerstörte. Welche Schätze sich unter ihnen verborgen hielten, war noch nicht zu ahnen.

Schicht für Schicht trugen wir den Boden ab, immer so, dass ebene, glatte Flächen entstanden, auf denen man Struktur und Färbung der Erde genau beobachten konnte. Wir, das war der Restaurator Frank Platten, der später im Museumsdorf Hösseringen arbeitete und jetzt im Ruhestand ist. Das waren einige Rentner und ältere Arbeiter aus der Umgebung und die Schülerin Angela Syring aus Uelzen, die den Beruf der Restauratorin kennenlernen wollte. Nicht nur in der Waagerechten schufen wir glatte Flächen. Quer über die Grabhügel ließen wir ein Kreuz von senkrechten Wänden stehen, damit wir an ihnen die Schichtung des Bodens verfolgen konnten.

Schon Bald trat eine schwarze Brandschicht auf, die als überhügelter Scheiterhaufen gedeutet werden kann. Die Brandschicht wurde von Grabgruben durchbrochen, die somit jünger sein müssen. Das kleine Gräberfeld stellte also die jüngste Fundschicht dar, die mit den Grabhügeln gar nicht in direktem Zusammenhang stand. In dem leichten, kalkarmen Sand waren die Skelette bis auf wenige Knochenreste vergangen und oft nur noch als Bodenverfärbungen zu erkennen. Auch die hölzernen Baumsärge und Kistensärge waren nur noch schwach im Boden zu sehen. Wenige Gräber enthielten Grabbeigaben. Ein paar Mal waren den Toten eiserne Messer mitgegeben worden. In einem Grab lag eine einfache Feuersteinklinge. Allem Anschein nach gehören die Gräber dem frühen Mittelalter an, als der christliche Einfluss die heidnische Sitte der Grabbeigaben zurückdrängte.

Aus viel älterer Zeit stammten die Reste eines Hauses, das man dem Toten errichtet hatte, um es im Zuge der Bestattungsriten abzubrennen. Die Standspuren der sechs Holzständer, welche das Dach getragen hatten, waren deutlich zu erkennen. Das Holz war längst vergangen, die Steine, mit denen man die Hölzer verkeilt hatte, markierten die Standorte. Grabbeigaben, die auf das Alter dieser Bestattung hätten schließen lassen, wurden nicht gefunden. Die Sitte solcher Totenhäuser ist allerdings in der Lüneburger Heide wohl bekannt. Etwa ein Dutzend Beispiele liegen vor, darunter zwei aus dem Landkreis Uelzen, in Wittenwater und Eitzen. Die Vergleichsfunde legen es nahe, das Haus aus Groß Hesebeck der älteren Bronzezeit zuzuordnen.

Noch älter war eine Gruppe von Bestattungen, deren Grabgruben sich nur schwach im Boden abhoben. Knochen waren aus diesen Gräbern gar nicht erhalten. Ein bisschen Zahnschmelz war übriggeblieben und die Skelette zeichneten sich ganz leicht als Verfärbungen im Boden ab. Die Grabbeigaben gestatteten es aber, die Gräber der Einzelgrabkultur der Jungsteinzeit zuzuweisen.

Eines der Gräber hob sich in Größe und Ausstattung von den anderen deutlich ab. Die große, teils mit Steinen ausgekleidete Grabgrube enthielt einen ganz ungewöhnlichen, sehr seltenen Befund. Auf dem Boden der Grabgrube ließen sich die Skelette von drei Toten ganz schwach erkennen. Sie waren reich mit Grabbeigaben versehen. Jeder von ihnen hatte als Waffe, vielleicht auch als Rangabzeichen, eine steinerne Streitaxt bei sich. Zusätzlich lag eine vierte, zerbrochene Streitaxt in der Grabgrube. Bei jedem der Toten lag außerdem eine kleine Gruppe von querschneidigen Pfeilspitzen so zusammen, dass man sich Pfeile in einem Köcher vorstellen kann. Sicherlich wird man auch die dazugehörigen Bögen ergänzen dürfen, von denen im Boden ebenso wenig übriggeblieben ist wie von den Pfeilschäften und den Schäften der Streitäxte. Zur Ausstattung eines jeden Toten gehörte darüber hinaus die Klinge eines Feuersteinbeils, zu dem ebenfalls der Holzschaft zu ergänzen ist. Und schließlich lag neben jedem Toten ein Tongefäß, ein Becher, wie er in Form und Verzierung typisch für die Einzelgrabkultur ist. Die Becher haben ursprünglich im Grab aufrecht gestanden und sie werden wohl Speisen für die Reise ins Reich der Toten enthalten haben.

Dieses Grab aus Groß Hesebeck ist eines der am reichsten ausgestatteten der Einzelgrabkultur, die je gefunden wurden. Und es gibt manches Rätsel auf. Alles spricht dafür, dass die drei Männer, um solche handelte es sich nach ihren Grabbeigaben eindeutig, nach der zweiten Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends gleichzeitig bestattet worden sind. Haben sie gleichzeitig den Tod gefunden? Oder ist einer von ihnen gestorben und die beiden anderen sind ihm in den Tod gefolgt? Wir wissen es nicht. Solchen Fragen nachzugehen, überhaupt die Funde aus Groß Hesebeck gründlich wissenschaftlich zu bearbeiten, ist aller Mühe wert.

Das Profil, die senkrechte Wand, die durch einen der Grabhügel von Groß Hesebeck verlief, war so aufschlussreich, dass sie nicht nur fotografiert und gezeichnet, sondern als Lackfilm aufwendig dokumentiert wurde. Als unterste Schicht ist eine Oberfläche aus dem Ende der Eiszeit zu erkennen, ein so genannter Ausblasungshorizont, eine Steinschicht, die in einer Vegetationslosen Periode dadurch entstanden war, dass der Wind das durch fehlenden Bewuchs ungeschützte feine Bodenmaterial wegblies und nur die Steine liegen blieben. Als nächster Zeithorizont sind zwei Grabgruben der Einzelgrabkultur zu erkennen, über die sich ein flacher Grabhügel wölbte. Als jüngste Befunde sind in dem Bodenprofil eine Brandschicht und vier Grabgruben des frühen Mittelalters zu sehen.

Die Ausgrabung in Groß Hesebeck wurde auch dazu genutzt zu dokumentierten, wie ein Lackfilm entsteht. Dazu wurde eine fortlaufende Bildserie hergestellt, welche die wichtigsten Arbeitsschritte festhielt. Es beginnt damit, die zu dokumentierende Profilwand sehr sauber und glatt zu putzen. Sodann wird sie mittels einer Zerstäuberspritze mit Lack eingesprüht, der mit Aceton verdünnt worden ist. Die Fläche wird anschließend mit einem Gasbrenner oder Lötbrenner abgefackelt, wobei hauptsächlich das Aceton verbrennt. Dabei verbrennen die vielen feinen Wurzelfasern, und die Profilwand erfährt eine erste Härtung. Dann wird erneut eine Lackschicht aufgesprüht und, wenn die getrocknet und gehärtet ist, eine weitere Lackschicht mit einem Pinsel aufgestrichen. Auf diesen Lack wird ein grobmaschiger, gazeartiger Stoff aufgebracht und erneut mit Lack bestrichen. Die Lackschicht bleibt, auch wenn sie ausgehärtet ist, elastisch, so dass sie schließlich wie ein Teppich abgezogen und aufgerollt werden kann. Auf der Rückseite bleibt der Boden der Profilwand im Original haften. Das Profil ist spiegelbildlich dokumentiert. In der Werkstatt wird der „Teppich“ wieder entrollt und auf eine Holzfaserplatte geklebt. Das Bodenprofil wird ein letztes Mal fein bearbeitet und dann mit einem farblosen, nicht glänzenden, konservierenden Lack besprüht, der die Originalfarben des Bodens wieder leuchten lässt.

Der Lackfilm ist neben der Blockbergung die aufwendigste Methode der Dokumentation von Ausgrabungsbefunden zu wissenschaftlichen Zecken. Und er ist ein hervorragendes Mittel, Ausgrabungsbefunde in Museen anschaulich und eindrucksvoll auszustellen. So verwundert es nicht, dass die Urgeschichts-Abteilung des Niedersächsischen Landesmuseum Hannover den Lackfilm von Groß Hesebeck schon vor Jahren vom Landkreis Uelzen ausgeliehen hatte, um ihm eine Sonderausstellung zu widmen. Auch wenn der Lackfilm schon seiner Größe wegen ausstellungstechnische Probleme bereitet, so verwundert es doch, dass dieses exquisite Ausstellungsstück und die Funde des spektakulären Grabes mit den drei Männerbestattungen in einem Magazin in Uelzen schmoren, anstatt in einer attraktiven Ausstellung der Öffentlichkeit die Archäologie nahe zu bringen. Überregionale Aufmerksamkeit und vieler Besucher wären der Ausstellung gewiss.

Mit dem heutigen Dorf Groß Hesebeck haben die Funde aus der Einzelgrabkultur das bis auf die gemeinsame Lokalität nichts zu tun, denn es gibt keinen ungebrochenen Geschichtsverlauf von damals bis heute. Und doch ist es sinnvoll zu wissen, was vor uns war. Die unvorstellbar langen Zeiträume lassen uns selbst klein und nicht mehr ganz so wichtig erscheinen. Das könnte zu etwas mehr Bescheidenheit führen und dazu, manches in unserer aufgeregten Gegenwart als das zu erkennen, was es ist, als ziemlich oberflächlich und unbedeutend.

Heinz Schirnig 2011