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WEGE UND UMWEGE
 

Wege und Umwege zum Arboretum

Das Lebenswerk

Es ist ein beachtliches Lebenswerk, das Christa von Winning mit ihrem Garten geschaffen hat. Tatkräftig hatte sie gleich nach ihrer Flucht vor den Russen ein Stück Land gepachtet, baute Gemüse und Blumen an, verkaufte ihre Produkte auf dem Wochenmarkt. So konnte sie ihre vier kleinen Töchter ernähren. 1950 erwarb sie in Melzingen eigenes Land, baute das kleine Siedlungshaus: Es entstand ein Nutz- und Erwerbsgarten, der allmählich auf 17.000 qm anwuchs. Erst 23 Jahre nach Kriegsende gönnte sich Christa von Winning 1968 ihren ersten Urlaub und unternahm, wie sollte es anders sein, eine Gartenreise. Es wurde die erste von über 70 Reisen, von denen sie immer Samen und Sämlinge seltener Pflanzen mitbrachte: Es entstand der Sammlergarten. Der Garten wandelte sich mit den Jahren vom Nutzgarten zu einer Sammlung von Gehölzen, dem Arboretum.

Seine Geschichte gibt der Garten dem aufmerksamen Besucher zu erkennen. An einigen Stellen sind die geraden, parallelen Reihen von Sträuchern zur Gewinnung von Schnittgut aus der ersten Phase des Gartens noch zu sehen, inmitten der verwirrenden Fülle von exotischen Büschen und Bäumen der zweiten Gartenphase, dem Sammlergarten als Folge des unermüdlichen Sammeleifers. Es kommt ein sehr persönliches, anrührendes Kapitel der Gartengeschichte hinzu, der Erinnerungsgarten mit den Pflanzen aus Sauen, dem alten Heimatort Christa von Winnings in der östlichen Mark Brandenburg. Schon auf der Flucht hatte sie einen Kirschapfel aus dem elterlichen Park von Sauen mitgebracht. Die Nachkömmlinge aus seinen Kernen stehen heute in Melzingen gemeinsam mit vielen anderen Pflanzen gleichen Ursprungs von der kleinen Walderdbeere bis zur großen Säuleneiche. Deren Samen hatte Christa von Winning, als die Grenze noch durchlässig war, nachgeholt.

Der Garten ist es wert zu überdauern, als Lebenswerk Christa von Winnings und als ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte. Die Geschichte des Gartens bestimmt seinen individuellen Charakter. Sie muss sichtbar bleiben mit ihren drei Teilen, dem Nutzgarten, dem Erinnerungsgarten und dem Sammlergarten.

Auf dem Weg zur Stiftung

Mit zunehmendem Alter wurde Christa von Winning in ihrem Wunsch bestärkt, den Garten, die Frucht vieler Jahre harter Arbeit, über ihren Tod hinaus zu erhalten. Die Töchter lebten mittlerweile weit entfernt und konnten die Pflege nicht übernehmen. Sie hatten schon als Kinder bei der Gartenarbeit kräftig mit helfen müssen. So suchte Christa von Winning nach anderen Lösungen. Aufgrund eines Zeitungsartikels wandte sie sich zunächst an das Competenz Centrum Suderburg, das Hilfe bei Problemlösungen anbot. Fahrt nahm das Projekt aber erst auf, als der findige Landtagsabgeordnete Jacques Voigtländer, die Lüneburger Regierungspräsidentin Ulrike Wolff-Gebhardt und ihre Stellvertreterin Elke Sellmann sich der Sache annahmen.

1998 trafen sich auf Einladung der Regierungspräsidentin an einem dunklen Dezembertag bei Schneegestöber sieben Freunde des Gartens in Melzingen und gründeten den Verein „Arboretum Melzingen. Gartenparadies Christa von Winning.“ Zur Vorsitzenden wurde Frau Professor Dr. Brigitte Urban der Fachhochschule Suderburg gewählt. Jahreszeit und Wetter waren kennzeichnend für den Beginn des Unternehmens, denn die Voraussetzungen, den Garten auf Dauer zu erhalten, waren denkbar schlecht. Die Beteiligten wurden sich rasch einig, dass die beste und dauerhafte Lösung eine gemeinnützige Stiftung als Trägerin des Gartens wäre. Bis sie errichtet werden konnte, sollte der Verein die Gartenpflege organisieren. Dabei zeigte sich bald, welch rare Güter Organisationstalent und konzeptionelles Denken sind.

Die Familie von Winning freundete sich mit der Stiftungsidee erst allmählich an. Doch nach der Errichtung der „Christa von Winning Stiftung“ im Dezember des Jahres 2000 wuchs rasch die Einsicht, dass man nicht etwas „verschenkt“, sondern mit der Stiftung ein hervorragendes Mittel gewonnen hatte, das Lebenswerk Christa von Winnings dauerhaft zu bewahren. Da neben dem Grundstück kein Stiftungskapital vorhanden war, lag die Last der Erhaltung des Gartens vor allem auf den Schultern der ehrenamtlichen Helfer. Erste Erfolge stellten sich ein, die eingeworbenen Fördermittel und die Arbeitsleistungen der unermüdlichen Helfer überstiegen bald deutlich den Wert der in die Stiftung eingebrachten Immobilie. Die Familie von Winning wusste diese Leistung zu würdigen und beteiligte sich großzügig an der Neugestaltung des Gartens mit der Übernahme der Kosten für die Bronzebüste der Stifterin.

Die Pflege des Gartens war ständig von Schwierigkeiten begleitet, da der Stiftung kein Kapital und kaum Geld zur Erfüllung des Stiftungszwecks zur Verfügung standen. Nur über die gute Zusammenarbeit mit der Justizvollzugsanstalt Uelzen, die Gefangene im Garten arbeiten ließ, war die Gartenpflege zu leisten. Die Mitgliedsbeiträge des Vereins, der als „Förderverein Arboretum Melzingen e.V.“ fortgeführt wurde, waren die wichtigste Quelle, aus der die Mittel für die laufenden Kosten geschöpft werden konnten. Ein weiterer wertvoller Beitrag des Vereins bestand in der ehrenamtlichen Hilfe einzelner Mitglieder, die zusammen mit anderen Freunden des Gartens Pflegearbeit übernahmen. Allerdings ließen unzureichende Abstimmung und Koordination gelegentlich genügend Raum für eigenwillige Arbeitsprogramme einzelner Freiwilliger, so dass im Garten schon einmal fröhlich hin und her gepflanzt wurde, manchmal solange, bis es die Büsche nicht überlebten. Um so dringlicher war es, eine anspruchsvolle Gartenkonzeption zu entwickeln und geradlinig in die Tat umzusetzen. Das glich zeitweilig einer kräftezehrenden Sisyphusarbeit. Sie wurde noch dadurch erschwert, dass die Entwicklung des Gartens schon zuvor keiner geraden Linie gefolgt war.

Zwei bewundernswerte Frauen

Die Feststellung, dass der rote Faden fehlte, mag überraschend erscheinen, hatte der Garten doch eine bemerkenswerte Entstehungsgeschichte und beachtliche Wandlung vom Erwerbsgarten zum Sammlergarten hinter sich. Der individuelle Charakter des Gartens spiegelt die Stifterin mit ihrer Willensstärke und Tatkraft als Gärtnerin und erfolgreiche Unternehmerin, also ganz als Frau der Praxis und der Tat. Das waren ihre großen Stärken. Dass sie auf dem Weg zum Arboretum sich nicht als Autodidaktin der Biologie oder Dendrologie zugewandt hatte, zeigt der Garten ebenso deutlich. Das waren ihre kleinen Schwächen.

Vielleicht findet sich eine mögliche Erklärung in der Familiengeschichte. Christa von Winning hat immer wieder stolz erzählt, wie sie es durchgesetzt habe, gegen den erklärten Willen ihres Vaters eine Gärtnerlehre zu absolvieren. So etwas schickte sich für ein Mädchen aus gutem Hause damals noch nicht. Eine solide Ausbildung war etwas für Jungen. Kann es nicht sein, dass damit auch jedes wissenschaftliche Interesse für Christa von Winning in unerreichbare Ferne gerückt worden war? Anders ist doch kaum zu verstehen, dass eine Frau, die sich noch im hohen Alter durch lebhafte Wachheit auszeichnet, ihr Leben lang mit Pflanzen umgegangen ist, ohne sich dabei der Biologie zu nähern.

Ganz anders verlief die Lebensgeschichte einer Frau, deren Liebe ebenfalls den Pflanzen galt und deren Weg auch einmal nach Melzingen führte. Sieben Jahre nach Christa von Winning wurde im Jahr 1919 Loki Schmidt geboren, nicht im großbürgerlichen Haus eines Wissenschaftlers, sondern in einer Arbeiterfamilie. Von den Berufen der Eltern her, der Vater Elektriker, die Mutter Schneiderin, sollte man meinen, dass die kleine Loki viel schwerer Zugang zur Bildung finden würde. Das Gegenteil war der Fall. Beide Eltern besuchten regelmäßig und begeistert die Hamburger Volkshochschule. Am Esstisch wurden dann die neuen Erkenntnisse lebhaft diskutiert. Loki bekam davon vieles mit und wurde neugierig. Die Eltern taten alles, um die Wissbegierde des Kindes zu fördern – obwohl es ein Mädchen war. So konnte das Interesse an der Biologie schon früh wachsen. Mit 10 bis12 Jahren nahm Loki immer wieder den langen Fußweg auf sich quer durch die Stadt von Hamburg-Horn zum alten Botanischen Garten, dem heutigen Planten un Blomen, nur um sich die vielen Pflanzen ansehen zu können. Ein Biologiestudium lag allerdings damals auch für sie außerhalb ihrer Vorstellungskraft und Möglichkeiten. Mit Hilfe eines Stipendiums machte sie sich auf den Weg, Lehrerin zu werden. Ihre Neugier und ihr Wissensdurst blieben ein Leben lang erhalten. Noch als Gattin des Bundeskanzlers drückte sie zwischen den Studenten die Bänke des Hörsaals im Botanischen Institut der Universität Bonn. Als Autodidaktin wurde sie zur anerkannten Biologin, zur Förderin der Biologie und des Naturschutzes. Als sie dann ihr schönes Buch über die Botanischen Gärten in Deutschland vorbereitete, besuchte sie auch den Garten in Melzingen.

Die Idee, ihren Garten in ein Arboretum zu verwandeln, war Christa von Winning wohl auf den Exkursionen der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft gekommen. Unglücklicherweise traf sie dabei auch auf falsche Berater. Offensichtlich kann man ein guter Wissenschaftler mit großen Detailkenntnissen und fundiertem Spezialwissen über einzelne Pflanzen sein, und trotzdem kann einem der Blick für Zusammenhänge und die Fähigkeit zum Planen fehlen. So wurden Pflanzen wie Briefmarken gesammelt, ohne den nächsten Schritt zu vollziehen, den der Briefmarkensammler tut, wenn die Zahl seiner Schätze größer und unübersichtlich wird: die Sammlung nach Themen zu gliedern und Sammelschwerpunkte zu bilden. An die private Gärtnerin ist das eine unbillige Forderung. Für den wissenschaftlichen Berater ist es eine Unterlassung. So entstand ein Garten der Fülle, der verwirrenden Vielfalt. Aber es wurde kein Weg beschritten, der geradlinig zu einem Arboretum führt. Von denen schreibt Loki Schmidt: „…diese Baumsammlungen sind sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Einige Gärten haben die Bäume nach ihrer verwandtschaftlichen Zusammengehörigkeit gepflanzt… Andere Gärten haben unterschiedliche Waldtypen aufgebaut, die in Mitteleuropa heimisch sind. Oder das Arboretum ist pflanzengeografisch gepflanzt, so dass man… durch Wälder Chinas, Japans und und Nord und Nordamerikas wandern kann…“
und Nordamerikas wandern kann..."

Danach überrascht es nicht, dass Loki Schmidt den Melzinger Garten in ihre Veröffentlichung über die Botanischen Gärten in Deutschland nicht aufnahm, denn sie sah ihn als Pflanzensammlung ohne roten Faden. Als dann nach der Stiftungsgründung der Gartenspezialist des Niedersächsischen Amtes für Denkmalpflege ein Gutachten erstellte, endete das mit der ernüchternden Feststellung: Der Garten ist nicht förderungswürdig. So war es eine der dringlichsten Aufgaben, eine Gartenkonzeption zu entwickeln und mit ihrer Umsetzung konsequent zu beginnen. Das neue Konzept stellte die Entstehungsgeschichte des Gartens selbst in den Mittelpunkt mit den Kapiteln Nutzgarten, Erinnerungsgarten und Sammlergarten. Das ist nicht ohne Erfolg geblieben und fand auch bei Dendrologen Anerkennung, die zuvor gemeint hatten, die Pflanzensammlung würde nie ein Arboretum werden. Bei einer Evaluation vor der Bewilligung von EU-Mitteln ist dann das Arboretum Melzingen als vorbildlich und förderungswürdig eingestuft worden.

Die Gartenkonzeption

Die Gartenkonzeption wurde vor allem im offenen Diskussionsprozess eines Gesprächskreises entwickelt. Auch Christa von Winning wurde bei vielen Einzelfällen einbezogen und erwies sich noch mit 90 Jahren bewundernswert aufgeschlossen und beweglicher als manch Jüngere. Als zentrales Ziel wurde festgelegt, den Garten in seinem individuellen Charakter zu bewahren und weiterzuentwickeln. Das bedeutete, die Geschichte des Gartens als Leitmotiv herauszustellen mit den Teilen

Nutzgarten mit den Pflanzen zur Schnittgutgewinnung und den noch verbliebenen rechtwinkligen Strukturen,

Erinnerungsgarten mit den Pflanzen aus Sauen, dem alten Heimatort Christa von Winnings,

Sammlergarten mit den Pflanzen, die vor allem von den Gartenreisen mitgebracht worden waren.

Darüber hinaus werden dort, wo Umpflanzungen und Neupflanzungen notwendig sind, die Pflanzen nicht mehr willkürlich gesetzt, sondern nach Verwandtschaften oder Themen geordnet. So wird der Garten übersichtlicher und für die Besucher lesbar, ohne dass jemals ein völlig durchplanter Garten entstehen wird. Ein Rundgang wird immer mehr einer Entdeckungsreise als einem „Lehrgang“ gleichen.

Der Garten muss pflegeleicht angelegt werden, weil Personal und Geld zur Gartenpflege fehlen. Die Flächen zwischen den Gehölzen können nur durch Mähen gepflegt werden. Pflegeintensive Beete kann es nur in begrenzter Zahl geben.

Die Besucher werden durch ein didaktisch und ästhetisch anspruchsvolles Leit- und Informationssystem geführt, das sich unaufdringlich in den Garten fügt und ihn nicht in einen Schilderwald verwandelt. Der Garten wird den Besuchern durch Gartenpädagogik erschlossen. Dazu gehören Veranstaltungen wie Gartenführungen, Kurse, Schule im Garten. Dazu zählen ebenso Materialien wie die „Übersichtspunkte“ und „Einsichtspunkte“ im Garten und die „Grünen Fäden“ als begleitende Schriften, die den Besucher zu bestimmten Themen durch den Garten leiten. Auch hier ist die Geschichte des Gartens das Leitthema, an das sich biologische und ökologische Themen anschließen. Bisher sind erarbeitet worden:

Grüner Faden 1 Wie alles begann – Die Geschichte des Gartens
Grüner Faden 2 Ginkgo & Co. – Die Entwicklungsgeschichte der Bäume
Grüner Faden 3 Fremde Eindringlinge – Neophyten
Grüner Faden 4 Bunte Gaukler – Schmetterlinge im Garten
Grüner Faden 5 Kunst im Garten

Neben gartenpädagogischen finden allgemeine kulturelle Veranstaltungen wie Picknickkonzerte und Malkurse von Künstlern statt. Es sind solche Veranstaltungsreihen, die inhaltlich einen Bezug zum Garten haben und zur Atmosphäre des Gartens passen. Laute Massenveranstaltungen sind ausgeschlossen.

Dem Service für die Besucher dienen das Gartencafé und der Gartenladen im Arboretum. Mit den Eintrittsgeldern, den Einnahmen aus Café und Laden strebt der Garten Wirtschaftlichkeit an. Im Verbund mit anderen kulturellen Zielen wie Kloster Ebstorf, Hundertwasser-Bahnhof Uelzen oder Museumsdorf Hösseringen will das Arboretum Melzingen dazu beitragen, die Region für den Tourismus attraktiver zu machen. In der Zusammenarbeit mit Schulen, der Erwachsenenbildung und anderen kulturellen Einrichtungen soll eine ländliche Bildungsstätte entstehen. Wer möchte, kann im Garten etwas lernen. Zu allererst sollen sich die Besucher wohlfühlen im Garten und Freude an ihm haben.

Heinz Schirnig 2006